Pflichtpraktikum – oder wie wir in der Sozialen Arbeit sagen: 1 Semester Vollzeit für 0,- Euro
Das Praxissemester steht an: Eines der letzten Semester deines Studiums sollst du in einen Beruf der Sozialen Arbeit eintauchen – angeleitet von einer ausgelernten Fachkraft und mit Begleitung von Lehrenden deiner Hochschule. Hier sollst du Arbeitstechniken anwenden lernen, betriebliche Abläufe kennen lernen, deine professionelle Identität weiterentwickeln und die Brücke zwischen Theorie und Praxis schlagen. Supervision im Begleitseminar an der Hochschule und Reflexionsgespräche mit Anleiter*innen ergänzen dieses Programm im Idealfall. Diese Aufgaben fordern dich in Vollzeit und das ist irgendwie auch gut so – schließlich bist du auf dem besten Weg in einen verantwortungsvollen Beruf und hast in dieser intensiven Zeit noch einmal Gelegenheit, dich in einem geschützten Rahmen auf die Probe stellen zu lassen und dich unter Anleitung zu entwickeln. Gute Aussichten – wenn du nur wüsstest, wie du deine Miete bezahlen sollst…
Kein Mindestlohn für Pflichtpraktika
Wer regelmäßig eine volle Wochenarbeitszeit absolviert und in dieser Zeit teilweise sogar ein beträchtliches Arbeitspensum in Eigenverantwortung ableistet wird dafür ja sicher bezahlt werden. Nun, wir machen’s mal kurz: So ist es leider nicht. Die meisten Studierenden der Sozialen Arbeit in Deutschland absolvieren am Ende ihres Studiums ein sogenanntes Praxissemester. Das ist in den jeweiligen Landeshochschulgesetzen geregelt und ist explizit vom Mindestlohngesetz ausgenommen: Du hast im Praxissemester also keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Gleichzeitig hast du aber weiterhin zahlreiche Ausgaben, selbst wenn du sehr sparsam lebst: das sind zum Beispiel Miete, Nebenkosten, Semesterbeitrag, Versicherungen und irgendwas musst du halt auch Essen. Klar – es gibt ein paar Träger, die dir 200 Euro zahlen und das ist schonmal besser als nichts. Aber wenn du nicht zusätzlich einen hohen BaföG-Anspruch hast, wird das ziemlich sicher nicht reichen. Schau dir hierzu gerne auch mal unsere Forderungen an.
Profis brauchen Erholung
„Work hard, play hard! Dann musst du am Wochenende eben jobben!“ Nun.. abgesehen davon, dass das in den meisten Fällen auch nicht reichen wird, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, haben wir hierzu eine klare Haltung: Das Praxissemester kann eine sehr intensive Ausbildungsphase sein: Inhalte müssen häufig noch außerhalb der Regelarbeitszeit vor- oder nachbereitet werden. Je nach Art der Arbeit kann es außerdem notwendig sein, sich sehr bewusst um die eigene Psychohygiene zu kümmern, um gesund zu bleiben. Wenn Studierende in dieser Phase gezwungen sind, mit Nebenjobs um ihren Lebensunterhalt zu kämpfen, bleibt faktisch keine Zeit zur Erholung. Der Weg in die Überlastung ist hier schon vorgezeichnet, bevor das Berufsleben überhaupt begonnen hat. Und das sagen wir nicht nur so, sondern das passiert regelmäßig. Professionelle Arbeit muss sich mit Phasen der Erholung abwechseln. Das ist wissenschaftlich gut belegt und indiskutabel. Bottom line.
Du bist nicht allein
Wir fassen an dieser Stelle nochmal zusammen: Du arbeitest Vollzeit, bekommst kein Geld und hast Ausgaben, denen du nicht gerecht werden kannst. Nebenjobs bedeuten in dieser Phase sehr wahrscheinlich eine Überlastung. Das Ganze musst du aber irgendwie schaffen, damit du die staatliche Anerkennung als Sozialarbeiter*in bekommst. Es mag sich anfühlen, als würdest du es irgendwie nicht hinbekommen. Oder als hättest du dich irgendwie nicht richtig gekümmert, dass du jetzt in dieser Situation bist. Schließlich haben es ja auch schon andere geschafft, oder? Aber so ist es nicht. Wir fühlen deinen Struggle und „the struggle is real“! Prekäre Praktikumsverhältnisse sind ein strukturelles Problem. Tausende Studierende sind in der gleichen Situation. Es ist unfair, es wäre durch die richtigen politischen Weichenstellungen vermeidbar und gemeinsam können wir das ändern! Hier ein paar Tipps von uns:
1. Nutze unsere Praktikumskarte
Auf der Praktikumskarte des Jungen DBSH findest du Praktikumsstellen in ganz Deutschland. Du kannst nach bestimmten Handlungsfeldern oder Region filtern oder auch gezielt nach Praktikumsstellen suchen, bei denen du eine Vergütung erhältst. So kommen einige Studierende auch kurzfristig noch an ein bezahltes Praktikum. Du findest die Karte unter praktikumskarte.junger-dbsh.de. Teile diesen Artikel auch gerne z.B. in deinen Studigruppen, damit auch deine Kommilliton*innen von unserem Angebot erfahren.
2. Verkaufe dich nicht unter Wert
Das ist manchmal gar nicht so einfach, wie es klingt. Und trotzdem: Du darfst selbstbewusst sein und den Arbeitsgeber*innen die Situation erklären. Mit unserer Argumentationshilfe hast du noch einmal alle Argumente an der Hand. Nimm dir genug Zeit für die Suche nach einem Praktikumsplatz, sodass du nicht in die Situation kommst, einen Praktikumsplatz aus zeitlicher Bedrängnis zusagen zu müssen, obwohl du eigentlich nicht möchtest.
3. Nimm Kontakt zum Netzwerk auf
In schwierigen Situationen braucht man manchmal auch direkten Kontakt zu Personen, die beratend zur Seite stehen können. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe Netzwerk Prekäres Praktikum kennen sich aus und können dich unkompliziert und vertraulich beraten oder dir Kontakt zu Mitgliedern in deiner Nähe vermitteln. Du erreichst die Arbeitsgruppe am besten per Mail an . Du kannst dich auch sehr gerne bei uns melden, wenn du mitmachen oder etwas beitragen möchtest.
4. Abonniere unsere Kanäle
Folge uns bei Facebook und Instagram – so bleibst du auf dem Laufenden und bekommst die Argumente direkt in deine Timeline.
5. Werde Mitglied im Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit
Das soll jetzt kein cheesy Werbeblock sein, aber eins kannst du uns glauben: Prekäre Praktikumsverhältnisse sind ein bedeutsames Problem in der Sozialen Arbeit – aber sie sind nicht das einzige. Es gibt viele weitere Probleme, die mit Politik und Arbeitgebern verhandelt und im Sinne der Fachkräfte gelöst werden müssen, damit professionelle Arbeit unter fairen und sicheren Bedingungen gewährleistet werden kann. Diese Probleme werden häufig auch dich betreffen – deshalb gibt es den DBSH. Wir sind dein ganzes Berufsleben für dich da: Mit Fortbildungen, fachlicher Vernetzung, einer Fachzeitschrift, arbeitsrechtlicher Beratung und vielem mehr. Hier bekommst du Infos und kannst Mitglied werden: Zur Online-Anmeldung. Wir freuen uns auf dich!